BLOG Die Gedanken sind frei
BLOG
Verbale und nonverbale Kommunikation als Stimmungsbarometer?
von Silvana Uhlrich-Knoll16.07.2025

Generalversammlung der Humanists International 2025 in Luxemburg
Viele Momente der Kommunikation haben in den letzten Wochen im DFW stattgefunden. Sei es auf der Tagung der Freien Akademie Ende Mai, sei es beim Unitariertag im Juni oder bei der Generalversammlung der Humanists International Anfang Juli in Luxemburg. Hier treffen sich viele, die sich vorher nicht kannten, die aber eines verbindet – sie engagieren sich für das Miteinander, für die Demokratie und die Gleichberechtigung aller Menschen auf unserer Erde.
Dennoch bedeutet dies nicht, sich immer einig zu sein. Menschen unterschiedlicher Couleur treffen hier das ein oder andere Mal aufeinander und tauschen sich über ein spezielles Thema aus. Sei es Philosophie oder Naturwissenschaft, sei es Politik oder Vereinsstruktur. Vielleicht wird im Sinne einer Debattenkultur miteinander diskutiert und kritisch gestritten, aber ganz ohne persönliche Zwietracht oder Argwohn zu streuen. In einem Gespräch mit fremden Menschen können wir vor allem neue Perspektiven und Sichtweisen kennenlernen. Wir können unsere Kommunikationsfähigkeiten verbessern, wir lernen, zuzuhören und uns wortgewandt auszudrücken.
Es ist eine tolle Gelegenheit, den eigenen Horizont zu erweitern und mehr über andere Kulturen, Meinungen und Lebensweisen zu erfahren, diese wertzuschätzen und zu akzeptieren. Ich würde mir wünschen, dass wir weitaus öfters diesen Versuch starten, uns mit fremden Menschen kommunikativ auseinanderzusetzen, als über sie negativ zu reden oder sie einem Stereotyp zuzuordnen.
Natürlich gibt es auch Herausforderungen, die durch Sprachbarrieren und unterschiedliche Gewohnheiten entstehen und zu Missverständnissen führen können. Wichtig ist es jedoch, sich auf das Gemeinsame zu konzentrieren. Solche Begegnungen fördern nicht nur das persönliche Wachstum, sondern tragen auch dazu bei, Vorurteile abzubauen und eine globalere, friedlichere Gemeinschaft zu schaffen.
Es tut gut, Teil der Vielfalt, Teil des großen bunten Treibens da draußen zu sein. Es tut gut, euch da draußen zu kennen, euch zu treffen und mit euch zu kommunizieren. Danke für jeden Austausch auf Augenhöhe.
Die Verteidigung theologischer Rechte mit Waffen
2025 jähren sich das Ende des Bauernkriegs und der Todestag von Thomas Müntzer zum 500. Mal
von Ortrun Lenz
30.06.2025


Geschichte ist nicht nur das Erinnern an Vergangenes, sondern auch eine Auseinandersetzung mit Fragen, die bis in unsere Gegenwart reichen. Besonders in Zeiten tiefgreifender gesellschaftlicher Umwälzungen werden Grundkonflikte sichtbar, die auch heute noch relevant sind – etwa zwischen Reform und Revolution, zwischen Macht und Gerechtigkeit.
Eine solche Zeit war der Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit, etwa zwischen 1476 und 1525: eine Epoche massiver Spannungen, sozialer Umbrüche und religiöser Erneuerungen. In dieser Zeit erhoben sich nicht nur Bauern gegen Ausbeutung und Unterdrückung, sondern auch städtische Bürger und Teile des verarmten Adels begannen, die alte Ordnung in Frage zu stellen. Die Reformation erschütterte die Autorität der Kirche, der weltliche Adel rang mit dem geistlichen um Einfluss, und in vielen Regionen formierten sich neue Machtverhältnisse.
Während Martin Luther die Kirche reformieren wollte, ohne die bestehende gesellschaftliche Hierarchie grundsätzlich infrage zu stellen, ging Thomas Müntzer einen anderen, radikaleren Weg.
Thomas Müntzer (geb. um 1489 in Stolberg/Harz; † 27. Mai 1525 bei Mühlhausen/Thüringen) war ein Theologe, Reformator, Drucker und wurde zum Revolutionär in der Zeit des Bauernkrieges. Müntzer war nicht nur ein früher Mitstreiter Luthers, sondern bald sein entschiedener Gegner – politisch wie theologisch.
Wo Luther zur Ordnung aufrief, predigte Müntzer den Umsturz; wo Luther die Fürsten beschwichtigte, rief Müntzer die Unterdrückten zum Kampf auf. Für ihn war die religiöse Erneuerung untrennbar mit sozialer Gerechtigkeit verbunden. Sein Wirken gipfelte im Deutschen Bauernkrieg, in dem sich der aufgestaute Unmut breiter Bevölkerungsschichten in einem offenen Aufstand entlud.
Luther und Müntzer: zwei Weltsichten
Ich will versuchen, die gegnerischen Haltungen von Müntzer und Luther darzustellen und zwar in der Zeit kurz vor und während des Bauernkriegs. Es geht also hauptsächlich um die Jahre 1524 und 1525.
Thomas Müntzer war der Auffassung, dass die sogenannte „Heimsuchung Gottes“, d. h. die Erfüllung des Volkes mit dem Geist Christi, die Voraussetzung für die äußere Umgestaltung des Lebens war. Und diese Erfüllung mit dem Geist Christi äußerte sich bei ihm praktisch in dem Verzicht auf jegliches egoistische Streben.
Der erreichte Grad der inneren Läuterung eines Menschen zeigte sich für Müntzer daran, wie sehr jemand dazu bereit war, Hab und Gut und sogar das eigene Leben zu wagen. „Deshalb rief er dazu auf, notfalls alles zu opfern – ‚allein behalt euer gewyssen frey und ledig und last euch dasselbige mit tyrannischem gebot nit vorstricken’“.
Müntzer wies auch darauf hin, dass Gott von den Menschen fordern würde, dass sie Gut und Leben wagten. Diejenigen, die nicht bereit wären, Opfer zu bringen, würden die Güter, die sie vorher für Gott nicht hatten wagen wollen, später sowieso genommen werden.
Aus diesen Äußerungen Müntzers lässt sich deuten, dass er erkannt hatte, dass nur in einer Gesellschaftsordnung ohne Klassen und ohne soziale Unterschiede zwischen den Menschen Gerechtigkeit herrschen kann; und zwar Gerechtigkeit für alle und auch Wohlstand für alle. Er erkannte aber gleichzeitig, dass die Konstituierung einer solchen Gesellschaftsordnung von den Menschen ganzen Einsatz und ungeheure Opfer fordern würde.
Wichtige waren zwei Predigten Müntzers, zum einen die Fürstenpredigt am 13. Juli 1524 (vor einem kleinen Kreis: Herzog und Kurprinz Johann u. a. ) und die Bundespredigt am 24. Juli 1524. Noch in der Fürstenpredigt versucht Müntzer, die sächsischen Landesväter für seinen Revolutionsbund zu gewinnen, indem er mit bittenden, werbenden Worten auf sie einredet: „Darum, ihr allerteuersten, liebsten Regenten, lernt Euer Urteil (Erkenntnis) recht aus dem Munde Gottes und laßt Euch (durch) eure heuchlerischen Pfaffen nicht verführen mit gedichteter Geduld und Güte aufhalten.“ Und weiter: „Sollt ihr nun rechte Fürsten sein, so müsst ihr das Regiment bei der Wurzel anheben und wie Christus befohlen hat. Treibt seine Feinde von den Auserwählten, denn ihr seid die Mittler dazu. Liebe, gebt uns keine schale Fratzen vor, daß die Kraft Gottes es tun soll ohne euer Zutun des Schwertes, es möchte euch sonst in der Scheide verrosten.“ So klang es in der Fürstenpredigt.
In der Bundespredigt, wenige Tage später, schlägt er schon andere Töne an. An die Stelle der bittenden Worte kamen Kritik, Vorwürfe und offener Tadel. „Ist es doch offenbarlich am Tage, daß die gottlosen Regenten den Frieden des Landes selber aufheben, stocken und blochen (hart strafen) die Leute um des Evangeliums willen, und es schweigen unsere Fürsten dazu ganz und gar stille.“
Nachdem die Tyrannen im Sommer 1524 immer noch ohne Strafe weiterwüten konnten, änderte Müntzer seine Meinung dahingehend, daß das Volk nicht nur das Recht, sondern die Pflicht habe, das Schwert selbst zu ergreifen und es gegen die Gottlosen zu führen.
Das Volk soll zum Schwert greifen
Es entspricht der Vernunft und dem natürlichen Urteil der Menschen, dass niemandem Notwehr versagt werden darf. „Notwehr war für Müntzer nicht identisch mit Aufruhr, sondern im gegebenen Falle Notwehr gegen die Aufrührer wider Gott, ein Mittel, um den Willen Gottes auf friedlichem Wege durchzusetzen. Für den Aufstand des noch nicht geläuterten Volkes konnte sich Müntzer trotz der Ermahnungen seiner aus anderen Städten und Dörfern vertriebenen Anhänger nicht entscheiden. Aufstand um vergänglicher Ziele und Interessen willen schien ihm Frevel wider Gott zu sein, die Anfechtung, der·Einsatz von Gut und selbst des Lebens eine unentbehrliche Stufe auf dem Wege hin zur Umwälzung auch der äußeren Verhältnisse.“
Luther hatte dagegen ganz andere Normen für die Unterdrückten und Entrechteten. „Christliches Recht ist, sich nicht zu sträuben gegen das Unrecht, nicht zum Schwert zu greifen, sich nicht zu wehren, sich nicht zu rächen, sondern Leib und Gut dahinzugeben, daß es raube, wer da raubt – wir haben doch genug an unserem Herrn, der uns nicht verlassen wird, wie er verheißen hat. Leiden, Leiden, Kreuz, Kreuz ist der Christen Recht, das und gar nichts anders. ... Ein Christ läßt jeden rauben, nehmen, drücken, schinden, schaben, fressen und toben, wer nur will; denn er ist ein Märtyrer ...“
Luther empfiehlt also den Bauern, stillzuhalten und sich nicht zu wehren. Diese Haltung gründet er auf den Römerbrief 13, Kapitel 3 und 4, in dem die Obrigkeit als gottgewollt dargestellt wird. Die Fürsten und Herren sind für Luther demnach „Gottes Beamten und Diener seines Zornes, dem das Schwert gegen solche Buben befohlen ist“.
Für Müntzer war der Kampf gegen die Pfaffen immer mit dem allgemeinen revolutionären Kampf gegen die Obrigkeit verbunden. Er sah keinen Unterschied zwischen religiösen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Er hielt alles für „gottlos“, was auf egoistische Ziele beschränkt war; alles sollte von den Zielen des Allgemeinen ausgehen, das er „Gott“ nennt.
Demnach musste auch alles „Gottlose“ durch die Gewalt der „Auserwählten“ unterdrückt werden. D. h. dass er bereit war, für seine theologische Überzeugung mit allen Mitteln zu kämpfen.
Luther wiederum sah die Radikalität Müntzers als gefährlich an. Besonders Müntzers Tätigkeit in Allstedt im Jahre 1524 machte ihm zu schaffen. Er schrieb an die sächsischen Fürsten und forderte Repressalien gegen Müntzer. Er erinnerte sie daran, dass er schon 1522 auf die gefährlichen Seiten der Müntzerschen Lehre hingewiesen habe, der die Reformation mit dem Schwert durchführen wolle. Weiter schrieb er, dass es Müntzer inzwischen nicht mehr nur um die Lehre ginge, sondern um eine Organisation, die sich „leypliche aufruhr“ gegen die weltliche Obrigkeit zum Ziel gesetzt habe. Und für diese Ziele wollte der „Teufel“ (wie Luther Müntzer inzwischen titulierte) den Pöbel für sich gewinnen.
Luthers Wut auf Müntzer wurde offenbar immer größer, denn im Bauernkrieg nannte er ihn schließlich den „Erzteufel, der zu Mühlhausen regiert und nichts denn Raub, Mord und Blutvergießen anrichtet.“
Luther selber hatte aber genauso Blutvergießen im Sinn, allerdings mit anderen Opfern als Müntzer. In seiner berühmten Schrift: „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“ wird er sehr deutlich, was seine Meinung über die Auflehnung gegen die Obrigkeit betrifft: „So soll nun die Obrigkeit hier getrost weitergehen und mit gutem Gewissen dreinschlagen, solange sie eine Ader regen kann. Denn sie hat hier den Vorteil, daß die Bauern ein böses Gewissen und eine ungerechte Sache haben und jeder Bauer, der dabei erschlagen wird, mit Leib und Seele verloren und auf ewig des Teufels ist. ... Darum soll hier zuschlagen, würgen und stechen, heimlich oder öffentlich, wer nur kann, und daran denken, daß es nichts Giftigeres, Schädlicheres, Teuflischeres geben kann als einen aufständischen Menschen, so wie man einen tollen Hund totschlagen muß.“
Charakterisierung der beiden Gegner
Auf der einen Seite stand Luther, für den die Obrigkeit gottgewollt war. Er bezog sich dabei auf den Römerbrief 13, und zwar auf die Verse 1 und 2. Er, auf den die Bauern zuerst ihre Hoffnungen gesetzt hatten, wandte sich gegen sie, indem er ihnen vorhielt, dass sie sich nicht gegen die Obrigkeit wehren dürften. Einerseits hatte er den Bauern also den Aufstand verboten und bezeichnete sie, als sie schon im Kampf waren, als „mörderische und räuberische Rotten“. Andererseits aber empfahl er den Herren genau das, was er den Bauern vorwarf, nämlich zu morden, schlagen, würgen, stechen usw. In der Schlacht von Frankenhausen wurden ja dann auch 5000 Bauern umgebracht und nur 600 gefangengenommen. Die Machthaber waren damit genau Luthers Rezept gefolgt.
Auf der anderen Seite stand Müntzer, der sich auf den gleichen Römerbrief 13 berief wie Luther. Nur stand für ihn die wichtigste Information zwei Verse weiter, nämlich in den Versen 3 und 4. Er interpretierte sie so, dass die Obrigkeit die Ketzer vernichten müsse, also vor allem Leute wie Luther. Müntzer wollte Bauern und Fürsten gemeinsam in einem christlichen Verbündnis sehen. Alle „Auserwählten“ sollten zusammen gegen die „Verdammten“ kämpfen. Er wollte aber keine Unterschiede machen zwischen Konfessionen oder Nationen; für ihn gab es nur Menschen unter Gott. „Auch kannte er keine Klassen, keine Titulaturen oder Rangstufen – er duldete nur Brüder.“
Für die Durchsetzung seiner religiösen Idee hat er letztendlich zu den Waffen gegriffen, da er keinen anderen Weg mehr sah, seine Forderungen durchzusetzen. Müntzer war also selber mit in die Schlacht gezogen, während Luther vom Schreibtisch aus seine Hetzreden schrieb und sich aus allem ansonsten heraushielt.
Luther muss sich aber trotz allem der Tragweite seines Handelns und Versagens bewusst gewesen sein. „Die Problematik, für die er von seinen theologischen Voraussetzungen aus keine menschlich vertretbare Lösung anzubieten hatte, belastete auf Jahre hin sein Gewissen.“ 1533 sagte er: „Prediger sind die allergrößten Totschläger. Denn sie ermahnen die Obrigkeit, daß sie entschlossen ihres Amtes walte und die Schädlinge bestrafe. Ich habe im Aufruhr alle Bauern erschlagen, all ihr Blut ist auf meinem Hals. Aber ich schiebe es auf unseren Herrgott; der hat mir befohlen, solches zu reden. ...“
Letzten Endes haben beide Haltungen zum Krieg geführt. Dass diese bewaffnete Auseinandersetzung für die Bauern so böse geendet hat, ist vielleicht auch ein Zufall gewesen. Ob dieses Gemetzel nicht hätte vermieden werden können und ob sich damals nicht vielleicht doch noch andere Wege hätten finden können, das lässt sich aus heutiger Sicht schwer beantworten. Thomas Müntzer steht damit exemplarisch für den revolutionären Geist einer Epoche, die an der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit nicht nur die Kirche, sondern auch die Gesellschaft neu zu denken begann – mit Konsequenzen, die bis heute nachwirken.
Ortrun Lenz
Literatur:
Bensing, Manfred: Idee und Praxis des „Christlichen Verbündnisses“ bei Thomas Müntzer, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe 14 (1955), S. 326
Herrmann, Horst: Ketzer in Deutschland, Köln 1978
Lilje, Hanns: Martin Luther, Reinbek bei Hamburg April 1965
Smirin, M. : Die Volksreformation des Thomas Müntzer und der große Bauernkrieg, verb . u. erg. Aufl. , Berlin 1956
Wehr, Gerhard: Thomas Müntzer, Reinbek bei Hamburg Mai 1972
Siegfried Bräumer und Günter Vogler: Thomas Müntzer. Neu Ordnung machen in der Welt. Gütersloh 2016.
Ulrich Bubenheimer und Dieter Fauth (Hg.): Religiöser Pluralismus und Deutungsmacht in der Reformationszeit. In: Schriftenreihe der Freien Akademie. Band 36. Berlin 2017.
Zur Notwendigkeit von Meinungsfreiheit
von Dr. Volker Mueller
19.06.2025

Seit dem Renaissancehumanismus und spätestens seit der europäischen Aufklärung steht der Begriff der Freiheit im Zentrum politischer, menschenrechtlicher und philosophischer Debatten. Schon John Locke (1632 – 1704) hat die These vertreten, dass eine Regierung nur dann legitim ist, wenn sie das Naturrecht auf Freiheit gewährt und schützt. Liberté, Égalité, Fraternité - unter dieser Losung stand dann das Epochenereignis, die Französische Revolution von 1789. „Der Mensch wird frei geboren, und überall liegt er in Ketten“, so hat 1762 Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) den bürgerlichen Impetus gegen Absolutismus und Aristokratie und für die Republik formuliert.
Freiheit wurde in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts zunehmend als Befreiung von den feudalen und klerikalen Verhältnissen des Ancien Règimes verstanden. Die Freiheitsrechte als angeborene Rechte des Menschen wurden gegen Absolutismus, gegen Vorurteile und Abhängigkeiten formuliert und sollen das freie Bewusstsein freier Menschen fördern und schützen. In der „Encyclopédie“, Band 9 (1765), finden wir deren naturrechtliche Bestimmung: „Dieses Recht gibt die Natur allen Menschen, damit sie über ihre Personen und ihre Güter in der Weise verfügen, die ihrem Urteil nach ihrem Glück am meisten angemessen ist – allerdings mit der Einschränkung, daß sie dieses Recht in den Grenzen des Naturgesetzes anwenden und es nicht zum Schaden der anderen Menschen mißbrauchen.“
„Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? So ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung.“ Immanuel Kant (1724 – 1804) trifft diese Unterscheidung in dem Aufsatz, den er mit seinen berühmten Bestimmungen der Aufklärung als „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ und der Mündigkeit als des Vermögens, „sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“, einleitet. Was 1784 galt, gilt auch heute: Die Aufklärung ist nicht abgeschlossen, das Projekt ist unvollendet. Aufklärung vollzieht sich, wenn Kritik geübt wird. Kritik vollzieht sich als „freie und öffentliche Prüfung“, der sich weder Religionen noch Regierungen „entziehen“ können. Wahrheitsansprüche, die allein auf Autorität oder Macht gegründet sind, gelten nicht.
Bei den Freiheitsrechten der Menschen hat sich die Frage nach der Meinungsfreiheit besonders herausgebildet. An Versuchen, autoritäre Wahrheitsansprüche wieder zu etablieren, fehlt es bekanntlich in unserer Gegenwart nicht. Von einem „Zeitalter der Kritik“ zu sprechen, fällt angesichts der Angriffe von Rechtspopulisten, Extremisten und Neofaschisten gegen eine „freie und öffentliche Prüfung“ schwer. Einschüchterungen bis hin zu Inhaftierungen von Journalisten weisen darauf hin, dass die Ausbildung des Vermögens, „sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“, durch Fake-News und offene Lügen verhindert und die Freiheit der öffentlichen Diskussion wie auch der Kulturen, Religionen und Weltanschauungen und der Ideen- und Lebensvielfalt - auch durch staatliche Gewalt - gefährdet ist.
Das Projekt der Aufklärung ist nicht in dem harmlosen Sinn unvollendet, dass Kritik und Freiheit sich im Vollzug und in der Öffentlichkeit bewähren müssen, solange kritikwürdige Zustände herrschen. Das Projekt ist in dem Sinn unvollendet, als die Gegenaufklärung buchstäblich marschiert: Sie will den immerhin erreichten Stand kritischer Öffentlichkeit, freier Medien und politischer Freiheit nicht nur auf eine vorargumentative Propaganda zurückdrehen, sie will den erreichten Stand persönlicher und politischer Freiheiten zu autoritären und nationalistischen Herrschaftsverhältnissen zurückzwingen. Das Projekt ist unvollendet und … es ist gefährdet. Die Gegenaufklärung will die politische und soziale Freiheit in Frieden und Demokratie zerstören.
Die UNO-Deklaration der Menschenrechte (1948), die durch Eleanor Roosevelt (1884 –1962) präsentiert wurde, ist eine entscheidende Grundlage unseres Lebens. «Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.» - wie es in Artikel 1 der UNO-Menschenrechtserklärung heißt. Die Freiheitsrechte (ihre Durchsetzung und Bewahrung) sind notwenige Voraussetzung für die Entwicklung freier Menschen in einer freien Gesellschaft. Eleanor Roosevelt, US-amerikanische Delegierte bei den Vereinten Nationen betonte bei der Vorlage der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Freiheit ist für jedes menschliche Wesen ein großes Bedürfnis. Mit Freiheit geht Verantwortung einher. Für eine Person, die nicht gewillt ist, erwachsen zu werden, eine Person, die nicht bereit ist, ihr eigenes Gewicht zu tragen, ist dies eine beängstigende Aussicht.“
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Grundrechtecharta der Europäischen Union führen diese Freiheitsgarantien fort.
Besonderes Augenmerk legt der Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften e.V. auf die Meinungsfreiheit, wie auf die Geistes-, Gewissens-, Presse-, Kunst-, Wissenschafts- und Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Sie sind in unserer Gegenwart gefährdet. Und dabei sind nicht nur autokratische Regimes wie Russland, Saudi-Arabien, Ungarn oder die Türkei gemeint, sondern die ganze Welt. Eine robuste Demokratie mit lebendiger Meinungsfreiheit und ein freier Rechtsstaat setzen sowohl die individuellen Rechte der Menschen als auch die Autonomie demokratischer Organisationen vor ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen voraus.
Menschenrechte und vor allem die Meinungsfreiheit sind mit liberalen Traditionen verbunden. Wir sind uns des hohen Gutes der Freiheit des Menschen gewiss. Welche Gefährdungen des Erreichten erkennen wir? Wie kann ein aufgeklärter und demokratischer Standard gegen seine Gegner verteidigt und bewahrt werden? Eröffnen sich zurzeit Möglichkeiten der Erweiterung von Freiheitsrechten überhaupt? Ist Meinungsfreiheit ein Zustand oder ein fortlaufender Prozess? Hat sie Grenzen? Findet Freiheit nur in der Geschichte statt? Ist Freiheit seit dem Austritt des Menschen aus der unmittelbaren Naturabhängigkeit durch die Vernunftbegabung als Tatsache gegeben? Ist der freie Wille eine Illusion, die den universellen Determinismus der Naturgesetze verkennt und übersieht?
Meinungsfreiheit ist notwendig, um die Freiheit zu haben, frei zu leben.
Ausgewählte Literatur:
Jean-Jacques Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag. Stuttgart 1986. S. 5.
Louis de Jaucourt: Natürliche Freiheit – Liberté naturelle. In: Artikel aus der von Diderot und d’Alembert herausgegebenen Enzyklopädie. Leipzig 1984. S. 581 f.
Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Was ist Aufklärung? Stuttgart 2002. S. 9 – 17.
Eleanor Roosevelt. Zitiert nach: https://www.deinemenschenrechte.de/voices-for-human-rights/eleanor-roosevelt.html (gelesen: 05.08.2023)
Hannah Arendt: Die Freiheit, frei zu sein. München 2018.
Andreas Arndt: Freiheit. Köln 2019.
Volker Mueller (Hg.): Freiheit und Erkenntnis. Schriftenreihe der Freien Akademie. Band 40. Berlin 2022.
Volker Mueller (Hg.): Die Notwendigkeit von Freiheit. Schriftenreihe der Freien Akademie. Band 42. Berlin 2023.

Margot Friedländer: Ihr Gedenken ist ein Hoffnungsschimmer
Von Silvana Uhlrich-Knoll
02.06.2025
Foto: Gordon Welters
Margot Friedländer war ein leuchtendes Beispiel für die Kraft der Versöhnung und des menschlichen Miteinanders. Ihre Lebensgeschichte, geprägt von unvorstellbarem Leid und Verlust während des Holocaust, ist nicht nur ein Zeugnis der Vergangenheit, sondern auch ein eindringlicher Appell an die Menschlichkeit. Trotz der schmerzlichen Erfahrungen, die sie gemacht hat, hat Margot nie den Glauben an die Versöhnung und den Dialog zwischen den Menschen verloren. In ihren öffentlichen Auftritten und Gesprächen strahlte sie eine bemerkenswerte Wärme und Empathie aus. Sie ermutigt uns, die Vergangenheit nicht zu vergessen, sondern aus ihr zu lernen, um eine bessere Zukunft zu gestalten. Margots Botschaft war klar und eindeutig: Versöhnung ist möglich, wenn wir bereit sind, zuzuhören, zu verstehen und Brücken zu bauen.
Sie zeigte uns, dass die Werte von Demokratie, Toleranz und Miteinander nicht nur abstrakte Konzepte sind, sondern lebendige Prinzipien, die in unserem täglichen Leben verwurzelt sein sollten. Diese Werte sind essenziell für das Funktionieren unserer Gesellschaft. Sie erinnern uns daran, dass wir in einer Gemeinschaft leben, in der jeder Einzelne zählt und in der wir gemeinsam Verantwortung tragen. Demokratie und Miteinander sind nicht nur Ideale, sondern praktische Leitlinien, die uns helfen, eine inklusive, gerechte und friedliche Welt zu gestalten. In Zeiten der Unsicherheit und des Wandels sind sie wichtiger denn je und sollten stets in unserem Handeln und Denken verankert sein.
Margot Friedländer erinnerte daran, dass es in der menschlichen Natur liegt, zu vergeben und zu heilen. Ihre unermüdliche Arbeit für die Aufklärung und den interkulturellen Dialog war ein leuchtendes Beispiel dafür, wie wir gemeinsam an einer friedlicheren und gerechteren Gesellschaft arbeiten können. In einer Welt, die oft von Spaltung und Konflikten geprägt ist, ist ihre Botschaft der Versöhnung und des Miteinanders wichtiger denn je.
Ihr Erbe inspiriert uns, weiter aktiv für eine Gesellschaft einzutreten, in der jeder Mensch in seiner Würde geachtet wird und in der wir gemeinsam an einer besseren Zukunft arbeiten. Das Gedenken an Margot und all jene, die unter dem Nationalsozialismus gelitten haben, ist nicht nur ein Rückblick auf die Vergangenheit, sondern ein Aufruf, die Lehren daraus in unser tägliches Handeln zu integrieren. In diesem Sinne ist ihr Gedenken tatsächlich ein Hoffnungsschimmer für kommende Generationen.